Heimat – ein Plätzchen Erde.
Erde – ein Plätzchen Heimat.
Das Heimatplätzchen.
Am 19. Dezember 2025 war es soweit: Unter dem Titel „Backworkshop mit den Heimatstipendiaten der Kunststiftung Sachsen-Anhalt“ fand in der FRIWI Bäckerei Stolberg ein außergewöhnliches Event statt, bei dem das Thema „Erde“ nicht zu kurz kam. Im Rahmen der Veranstaltung gingen Kinder und Erwachsene auf Entdeckungsreise – aber diesmal nicht nur in die Geschichte von Weihnachts-Backtradition, sondern auch einen mutigen Schritt zum Verständnis der Erde selbst.
Für mich lag die Herausforderung im Vorfeld darin, den Erdaspekt meines Stipendienprojektes kreativ in den Workshop zu integrieren. Eine zündende Idee kam bei einem Gespräch mit dem Bergbauingenieur Wolfgang Zerjadtke, der mir von „Heilerde“ aus dem Harz erzählte. Diese Erde ist nicht nur in Drogerien und Apotheken bekannt, sondern hat auch eine ganz eigene große Geschichte. Mit der „Jungborn“ -bewegung ( https://de.wikipedia.org/wiki/Kuranstalt_Jungborn) im Harz angesiedelt und von Adolf Just (https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Just) gegründet, wurden Menschen zu den ersten neuzeitlichen Erdessern des beginnenden 20. Jahrhunderts. Angeblich war sogar Franz Kafka unter ihnen. Heilerde spielte zudem in einem meiner früheren Projekte eine Rolle. Damals, als Werkstattleiter der Hallischen Kunsthochschule – entwickelte ich mit Grubentonen, die ich in Zusammenarbeit mit dem Bodenkundler Dr. Michael Steininger auf ihre Unbedenklichkeit testen ließ, einige erdbasierte -Mixgetränke. Diese sollten helfen, das tiefere bzw. innere Verständnis keramischer Massen (Erden) bei den Studierenden zu wecken. Diese Erfahrungen und Zusammenhänge führten schlussendlich zu meiner Entscheidung, die Heilerde auch in den Backprozess des aktuellen Workshops zu integrieren.
Das „Erdplätzchen“ hatte seinen Weg nach Stolberg im Harz gefunden. Mit Heilerde als Zutat und künstlerisch gestalteten münzähnlichen Backformen – wie „1 MÜNTZ-ER“, „1 ERDE“, „1 FRIEDEN“ – begannen der Workshop.
Zu meiner großen Freude und Überraschung stieß meine Idee, Erde in den Teig zu integrieren, auf offene Ohren und viel Neugier im Hause FRIWI. Nadja Witte, die Chefin, die sich sofort auf das Experiment einließ, half tatkräftig und mit großem Enthusiasmus, die Erde in einen Teil des Teiges einzuarbeiten. Schnell fanden auch die Teilnehmenden – jung und alt – Spaß daran, mit dem Erdteig zu arbeiten.
Als es schließlich ans Verkosten ging, stiegen die Probanden in ungewohnte Geschmackswelten auf. Die „Erdkekse“ sorgten für überraschte Gesichter und boten den Teilnehmenden die Gelegenheit, auf humorvolle Weise über das Verhältnis von Heimat und Erde nachzudenken. Vielleicht wurde sogar von Einigen ein weiterer Bezug zur Erde wahrgenommen, den ich über einen Ausdruck des Wikipediaartikels über Erdplätzchen (https://en.wikipedia.org/wiki/Mud_cookie) vom anderen Ende der Welt im Backraum präsentierte.
Der Workshop war nicht nur ein gemütlicher, sinnesfreudiger und gemeinsamer kreativer Akt. Er wurde, ganz leise, auch zu einer Reflexion über die Erde als Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Erde, als „Plätzchen Heimat“, war am Ende nicht nur Zutat, sondern ein verbindendes Element, das in einer gemeinsamen Erfahrung erlebbar wurde – und sicherlich bei vielen eine bleibende Erinnerung hinterließ.
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Genauere Informationen zu Hintergründen, Auflage und Prägeverfahren finden Sie hier.
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Des Münzers Heimat.
Teil 2, „vertikal“
November/Dezember 2024
Die horizontale Ebene von Heimat hatte ich in den vergangenen Wochen beschritten und weitläufig untersucht. Große Schätze in Form von Erkenntnissen über die Fremde - die zweite Seite der Heimat konnte ich bergen. Ein Treffen mit einem Berg und einem Kaiser ergab ein Marmorrelief mit Portraits zweier gegensätzlicher Figuren des ausgehenden Mittelalters. Zurück in der Heimat beginne ich meine Untersuchungen im Südharz zu vertiefen. Das Heimatstipendium treibt mich in den Untergrund. Im Zuge meines Vorhabens „Erdprägung“* richte ich meinen Stipendiatenblick auf der Boden, die Erde und was noch so damit zusammenhängt.
Die Fragestellung hinter diesem Abschnitt meiner Reise zur Heimat, könnte lauten: wie tief geht Heimat? Wie hoch hinaus? „Wie, und wie weit erstreckt sich die Heimat in der Vertikale?“
„Vom Himmel bis in die Hölle“, meine ich jenen Thomas Müntzer munkeln zu hören, treffe mich aber erst einmal, zur besseren Orientierung, mit einem Spezialisten. Seines Zeichens Bergbauingeneur, ist Wolfgang Zerjadtke wohl einer der versiertesten Fachleute, wenn es um die Bergbaugeschichte und die Geologie des Südharzes geht.
Bergbauineneur Wolfgang Zerjadtke und Heimatstipendiat Georg Mann im Gespräch, Georg Mann, Oktober 2024
Unser erstes gemeinsames Treffen erzeugt in mir erneut das Gefühl in eine ungekannte Fremde, eine gänzlich andere Welt vorzustoßen. Schon allein so märchenhaft anmutende Begriffe wie Toter Mann, Bewetterung, Wasserkünste, Täufen usw. vermitteln mir den Eindruck unversehens in eine fremde Welt vorgedrungen zu sein. Doch weit gefehlt, auch das ist Heimat. Es sind lediglich die Begriffe und Elemente der Heimat, wenn wir sie in der Vertikalen zu lesen beginnen.
Nachdem ich einige der neuen Vokabeln gelernt hatte, begann ich die Geschichte, welche dieser Herr Zerjadtke erzählt, immer besser zu verstehen. Mehr noch, sie wurde zunehmend spannender und entwickelte sich zu einem fesselnden Krimi. Nachtaktionen mit LPG-Traktoren, durchtrennte Telefonleitungen, verschwundene Bagger, ein Hungerstreik, Geheimniskrämerei, dramatische Zwischenfälle und leider auch Dragödien begleiten die Suche nach einem ganz besonderen Schatz in den Tiefen des Südharzes. Im Gedanken an das Stolberger Museum wünsche ich mir, einige dieser Episoden würden als Hörbuch oder Ähnliches zugänglich sein.
Bei dem sagenumwobenem Schatz handelt es sich um das Flussmittel Flussspat, das die Verhüttung der Münzmetalle Kupfer und Silber im Harz und weit darüber hinaus überhaupt erst ermöglichte. Ich vermerke, Geld/Münzen benötigen schon in der Herstellung ein Flussmittel. Des Weiteren und dies überrascht mich wirklich, erfahre ich, dass „der Berg“ / das Gestein unter tage Sauerstoff verbraucht. Atmet der Berg? Lebt er? Nach fortgeführten Gesprächen mit Herrn Zerjadtke finden sich auch erste vielversprechende Hinweise darauf, wo sich die für mein Erdprägungsvorhaben notwendigen Erden finden lassen.
Ich begebe Mich auf die Suche. Eine der folgenden Expeditionen führt mich zu einem Autonaufschluß ins Selketal.
Erste Erde für die "Erdprägung" , Bergung von Auetonproben im Selketal, Georg Mann 2024
"Schichten von Heimat" ? , Selketal, Georg Mann 2024
Neben dem erhofften Material fallen weitere geheimnisvolle Ablagerungen ins Auge. Was hat es mit diesen ... auf sich? Offensichtlich handelt es sich auch hierbei um Schichten von Heimat. Welche Geschichten mögen sie erzählen? Ich nehme mir vor, bei nächster Gelegenheit an kundiger Stelle nachzufragen.
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Die "ERDPRÄGUNG" geht an die Börse. Ausergewöhnlicher Börsengang an der alten Handelsbörse Leipzig.
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Des Münzers Heimat.
Teil 1, „horizontal“
September/Oktober 2024
“Jede Münze braucht zwei Seiten.“
Der Münzer weiß das. Auch, dass es meist mehr als zwei Seiten gibt weiß er, aber dazu später.
Was ist Heimat?
Als frisch gewählter Heimatstipendiat stellt sich mir nicht nur die Frage nach der Heimat, sondern, im Zeichen meiner Profession als Münzer, auch die Frage nach den beiden Seiten von Heimat.
Die eine, allgemein bekannte und allenthalben einfach zu findende Seite ist die Heimat im Sinne von prägenden Traditionen, Landschaften, Nahrungsmitteln samt ihrer spezifischen Zubereitung, Klimabedingungen usw. Für den Harz sind das Berge, Wälder, Bergbau, Würste, Hexenpüppchen, röhrende Hirsche usw..
Die andere Seite der Heimat ist nicht so leicht zu finden. Bei der Suche nach ihr betreten wir buchstäblich Neuland. Die andere Seite, die notwendige zweite Seite von jeder Heimat ist nämlich die bzw. das Fremde, das was sich vom Heimatlichen unterscheidet und dieses damit definiert.
Als Ausgangsthese formuliert, heißt das: „Keine Heimat ohne Fremde“
Um genaueres zu erfahren beginne ich mein Heimatstipendium mit einer Reise in die Ferne, mit der Suche nach der Fremde und der anderen Seite der Heimat. Im Gepäck habe ich das Thema 500 Jahre Bauernkrieg, Thomas Müntzer, den großen Begriff “Gerechtigkeyt“ und natürlich immer wieder den Gedanken an die mindestens zwei Seiten von alledem.
Nach Süden geht es. Als erste Station besuche ich das Fuggermuseum in Augsburg.
Warum die Fugger? Der Grund liegt darin, dass die Niederschlagung der Bauernaufstände des ausgehenden Mittelalters und somit auch der Tod Thomas Müntzers und vieler seiner Mitstreiter mit dem Geld der Fugger finanziert wurde. Als Münzer denke ich beim Besuch des Museums an die zwei Seiten der Münze und überlege: Die Fugger, die reichsten Leute ihrer Zeit, stehen für den Profit. Und: ist “Profyt“ eventuell die Kehrseite von “Gerechtigkeyt“? Im Fuggermuseum zu Augsburg, erfahre ich dann mit Erstaunen: Der Großteil des großen Reichtums der Familie Fugger entspringt dem “Diebstahl, dem Menschenhandel und weiteren unsagbaren Gräueltaten.“ Wer möchte, dem vermittelt der folgende Link zum museumseigenen Podcast einen eindeutigen Eindruck davon. https://www.fugger-und-welser-museum.de/mediathek/mediathek-virtuelles-museum/
Ich finde es interessant, dass Leuten wie den Fuggern in Augsburg Denkmäler und Museen errichtet werden aber ein wenig wird dabei auch der Wunsch in die Heimat zurückzukehren in mir wach.
Doch nein, die Reise geht erst einmal weiter. Nach Süden immernoch, nach Schwaz in Tirol. Bekannt ist der Ort für seinen sagenhaften Silberreichtum und das größte Berggeschrei des Mittelalters. Angeblich, und das ist eine interessante Parallele zu Stolberg im Harz, begründeten die Fugger ihren Reichtum an diesem Ort mit Beteiligungen am Silberbergbau und dem prägen von Münzen.
Glück auf, heisst es in Schwaz und ein Besuch im kalten Silberstollen lässt mich nicht nur wegen der Kälte frösteln. Es fühlt sich an, als ob der kleinen Stadt in den schönen Bergen etwas „grundlegendes“ fehlt. Fragen steigen mit mir aus dem Schacht. Liegt mein Frösteln daran, dass der sagenhafte Reichtum, der Bodenschatz ausgebeutet wurde? Oder ging er einfach nur in die Fremde? Was bleibt den Ausgebeuteten (wie Stolberg im Harz und Schwaz in Südtirol)? Werben mit längst vergangenen Schätzen? Oder gar mit der Ausbeutung selbst? Werben sie mit jenem Teil Heimat, der, länst, in die Fremde ging? Welchen Sinn macht es, den Schatz der Heimat in die Fremde zu geben? Was ist die andere Seite von Ausbeutung und ganz aktuell: was ist die Gegenseite von Erschöpfung?
Nachdenklich reise ich weiter. Mit den frischen Erfahrungen der beiden ersten Stationen meiner Reise begebe ich mich in einen Steinbruch am Untersberg bei Salzburg. Der Grund für diese Station ist eine weitere, diesmal eine mythische Parallele: der Sage nach und gleich dem Kyffhäuser/ Barbarossadenkmal im Süden des Harzes, sitzt nämlich der berühmte Kaiser auch im Untersberg und wartet auf ...
eventuell auf ein Interview mit mir?
Dies führe ich in Form eines bildhauerischen Experimentes. Ich begebe mich tief in den Bruch, ins Fremde innere des Berges und schlage meine Gedanken und Reiseeindrücke in den harten Marmor.
Doppelportrait, Th. Müntzer & J. Fugger, ca. 70x40x6cm, Untersberger Marmor
Blick vom Untersberg auf den Müntzer-Supervollmond (in Gold!) des September 2024. Im Hintergrund der Berg Hoch Staufen, Georg Mann 2024
Georg Mann, Marmorbruch Kiefer, Fürstenbrunn bei Salzburg, 30. September 2024
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Beitrag von MDR Sachsen-Anhalt heute: Blütenstaub-Münzen in Gedenken an Müntzer und den Bauernkrieg
Beitrag: MDR Sachsen-Anhalt heute: Blütenstaub-Münzen in Gedenken an Müntzer und den Bauernkrieg